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Neue Technologien benötigen eine positive User Experience, um von den Menschen angenommen zu werden. In diesem Gastbeitrag berichtet Vitek Goyel, Gründer von Kompetek Interaktiv GmbH über seine Erfahrungen mit Virtual Reality und wie er mittels der Integration von UX die innovative Technologie VR voran treibt und dabei seine KundInnen glücklich macht.

Während ich mich, wie alle anderen Menschen auf der Welt, auf eine neue Realität einstelle, die sich in den letzten Jahren verändert hat, denke ich über meine eigene Reise während dieser Zeit nach. Es begann in Mumbai, Chaos und Panik überall und niemand wusste, was als wohl als nächstes kommt. Heute sitze ich in meiner Wohnung in Berlin und tauche ein in eine neue Sprache und Kultur, während ich über die Stadt blicke. Es ist still und ruhig, verglichen mit dem Chaos, an das ich mich gewöhnt habe.

Meine Reise war ganz real, aber was mich hierher gebracht hat, war etwas völlig Virtuelles. Über die virtuelle Realität und ihre verschiedenen Vorteile und Fallstricke wurde bereits bis zum Überdruss geschrieben, und ich habe nicht vor, dem was bereits zu diesem Thema geschrieben noch mehr zu dem hinzuzufügen. Ein Bereich, der meiner Meinung nach jedoch oft übersehen wird, ist das ultimative Ziel - die User*innen und die Erfahrung, die sie in VR machen können, diese ist viral, tiefgreifend und körperlich und das muss respektiert werden.

Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich ein VR-Headset ausprobierte. Ich war 12 oder 13 Jahre alt und besuchte die SEGA Mega World im Trocadero am Londoner Piccadilly Circus. Wie Sie sich vorstellen können, sah VR in den 1990er Jahren im Vergleich zu Heute, eher wie der Film ”Der Rasenmäher Mann” aus. Ziemlich massiv und sperrig, alles war polygonal, flach, leblos und übelkeiterregend. Aber es war trotzdem aufregend. Es war eine Erfahrung, die ich nie vergessen würde.

Ein paar Jahrzehnte später habe ich zum zweiten Mal ein VR-Headset ausprobiert. Diesmal war es das Oculus DK1, ein VR-Headset, das auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter vorgestellt wurde und das ich mehr als persönliches Spielzeug denn als Arbeitsgerät gekauft habe. Als ich es ausprobierte, fühlte ich mich sofort in die 1990er Jahre zurückversetzt. Ich war wieder derselbe Junge, mit dem Unterschied das ich mich in einer Simulation mit verbesserter Grafik wiederfand. Und dem Unterschied, dass mein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen war. Ich arbeitete in der Videospielbranche.

Diese entscheidende Verknüpfung von Spieldesign und der Einführung von Oculus erwies sich als monumental. Spieleentwickler, wie ich selbst, versuchten sich an Experimenten. Plötzlich waren alle auf der Welt auf dem gleichen Stand und probierten Dinge von Grund auf aus. Das war aufregend. Und es war überall dasselbe – in Bangalore, in Berlin, in San Francisco. Die VR-Explosion war im Begriff zu beginnen.

Wo kommt also der UX-Teil ins Spiel? Warum war und ist sie (die User Experience) so wichtig? Einfach ausgedrückt: Sie ist das Tor, der Einstieg in eine neue Welt. Wie bei allem Neuen müssen wir in diese Welt hineingeführt werden. Wir müssen amüsiert, nervös und aufgeregt sein. Diese Dinge nicht zu wissen, führte dazu, dass viele frühe VR-Projekte unerwünschte Auswirkungen hatten.

Einige der ersten Projekte, die wir entwickelten, dienten zwei Zwecken: Unterhaltung oder Brand Marketing. Damals waren die Hardware-Optionen jedoch noch begrenzt, und die Erlebnisse fühlten sich noch klobig an. Wir hatten damit zu kämpfen, dass unsere Kunden sich unwohl fühlten und nicht wussten, wie sie sich am besten in dieser neuen immersiven Welt zurechtfinden sollten. Wie konnten wir diese Erfahrung für sie besser machen?

Mit der Body-Tracking-Technologie wurde alles einfacher. Die Benutzer*innen mussten nicht mehr stillsitzen und sich virtuell bewegen lassen, sondern konnten ihre Bewegungen selbst steuern. Das war ein großer Fortschritt - das Erlebnis wurde real und nicht passiv. Sobald das Erlebnis real wird, öffnen sich die Türen für weitere Anwendungen neben Marketing und Unterhaltung. Virtuelles Training und Lernen wurde möglich.

Ein weiteres interessantes Ereignis zu dieser Zeit war die allgemeine Verschiebung der VR-Trends. Während die ersten VR-Befürworter das Potenzial eher unter dem Gesichtspunkt der Spieleentwicklung sahen, die sich ausschließlich an Verbraucher richtete, erwiesen sich die Anwendungsfälle in Unternehmen als erfolgreicher. Für Gelegenheitsnutzer gab es nicht genügend Hardwaregeräte. Unternehmen konnten sich jedoch problemlos High-End-PC-VR-Geräte leisten.

 

Eines der ersten und interessantesten Projekte, das wir entwickelt haben, war eine VR-basierte Schulungsplattform für einen großen Automobilhersteller in Indien. Das Unternehmen sah sich mit einem einzigartigen Problem konfrontiert und wandte sich an uns, um eine Lösung zu finden.

Im Rahmen ihrer regelmäßigen Schulungen stellten sie fest, dass viele Mitarbeiter ähnliche Fehler machten, die als "Defekte" bezeichnet wurden und zum Stillstand der Montagelinie führen konnten. Sie wollten ein VR-Tool, das ihren Mitarbeitern hilft, die Ursachen für diese Fehler zu erkennen und sie zu vermeiden.

Das Ergebnis war ein Tool namens PixelSpray VR, das wir in mehreren Automobilwerken an teilweise abgelegenen Standorten und mit verschiedenen, einzigartigen Herausforderungen eingesetzt haben.

Die primäre Herausforderung, mit der wir konfrontiert waren, war die anfängliche Reaktion der Mitarbeiter vor Ort. Wir stellten fest, dass viele ältere Mitarbeiter zurückhaltend waren, während die jüngeren Nutzer eher begeistert reagierten. Wir wussten jedoch, dass wir ohne den Input und das Feedback der erfahrenen Nutzer kein vollständiges Tool entwickeln konnten. Es war wichtig, sie mit ins Boot zu holen.

Zu diesem Zweck erstellten wir erste Prototypen der grundlegenden Aktionen und luden sie zu einer Brainstorming-Sitzung ein. Wir zogen unsere 2D-Künstler*innen hinzu, um das grundlegende UI und die HUD nach unseren Vorstellungen zu skizzieren und durch die Einbeziehung ihres Feedbacks (das der Mitarbeiter) zu ergänzen. Tatsächlich konnten wir so viele interessante Aspekte erfahren und begreifen. Zum Beispiel war einiges, was wir für wichtig hielten, für sie nicht so wichtig, und sie forderten uns auf, uns auf Aspekte konzentrierten, an die wir zunächst nicht gedacht hatten.

Eines der ersten Dinge, die sie als wichtig bezeichneten, war, dass neue Mitarbeiter den richtigen Umgang mit den Werkzeugen und gute Arbeitsgewohnheiten lernen, wie z. B. die Werkzeuge nach Gebrauch wieder an ihren Platz zu legen. Dies war dann auch eine der ersten Dinge die wir in Angriff nahmen.

Wir erstellten einen digitalen Zwilling der firmeneigenen Farbspritzpistole, einschließlich aller Einstellknöpfe usw. in der virtuellen Welt. Nachdem wir die Game Engine so angepasst hatten, dass wir die Physik und die Flüssigkeitsdynamik der Farbe nachahmen konnten, war es uns möglich, eine realistische Farbspray Simulation zu erstellen, die die Defekte, die i m Arbeitsablauf entstehen können und die das Unternehmen beheben wollte, widerspiegeln konnte.

Wir brachten auch unseren Background im Bereich Storytelling aus dem Game Design ein, um einige der Problemstellungen zu beleuchten. Wir sorgten dafür, dass ein Benutzer erst dann zum nächsten "Level" der Schulung übergehen konnte, wenn er alle seine Werkzeuge wieder an ihren Platz gelegt hatte. Sobald ein Benutzer diesen Schritt nach jedem einzelnen Level wiederholen musste, entwickelte er ein Muskelgedächtnis, das sich im echten Leben widerspiegelte. Schon bald kommentierte unser Kunde, wie zufrieden seine Führungskräfte waren, wenn sie saubere und aufgeräumte Arbeitstische sahen.

Dann stellte sich die Frage: Benutzen wir die echte Spritzpistole oder die virtuelle mit dem Remote Controller? Das Gewicht der Pistole, das Stahlmaterial und sogar die Schnur waren entscheidend und mussten nachgebildet werden, um ein Erlebnis wie im echten Leben zu vermitteln. Wir nahmen also die physische Pistole und statteten sie mit den entsprechenden Sensoren aus. Dieser Schritt führte zu einem noch höheren Grad der Immersion und machte das Erlebnis noch viel lebensechter.

PixelSpray erwies sich als erfolgreich, und in der Pilotphase wurden über 100 Benutzer geschult. Am Ende erhielten wir ein Feedback vom Betriebsleiter - die Anzahl der Fehler ging zurück und die Effizienz stieg um bis zu 60 %. Als wir bei der Markteinführung dabei waren, musste ich lächeln, als ich eine Schlange von Lackieren sah, die eifrig darauf warteten, die VR-Schulungsplattform auszuprobieren.

Hier kann sich eine kurze Demo von PixelSpray VR angeschaut werden.

 

Covid hat eine Vielzahl von Herausforderungen mit sich gebracht. Eine davon war die Frage, wie man in einer Zeit, in der wir mit Ungewissheit konfrontiert sind, Arbeitskräfte effektiv schulen kann. Wir stehen vor neuen Herausforderungen im Bereich Gesundheit und Sicherheit, aber auch vor einer zunehmenden Umweltkrise.

Technologien wie VR sind der Schlüssel zur Lösung dieser Herausforderungen, aber ohne eine gute Benutzeroberfläche wird diese Technologie nicht angenommen werden.
PixelSpray brachte dem Kunden nicht nur ein höheres Maß an Effizienz, sondern auch erhebliche Vorteile für die Umwelt. Tausende von Litern Farbe, die sonst umweltschädlich entsorgt worden wären, wurden und werden eingespart.

Aber VR wird sich nur durchsetzen, wenn der Benutzer in den Mittelpunkt gestellt wird. Die Angst, dass Automatisierung und künstliche Intelligenz die Arbeitskräfte ersetzen, ist sehr real. Technologien wie VR müssen den Menschen in den Mittelpunkt stellen um zu funktionieren. Wir verwenden VR, um Arbeitnehmer effizienter, glücklicher und gesünder zu machen - nicht um sie zu ersetzen.

Aber damit dieser Wandel stattfinden kann, müssen wir alle VR-Enthusiasten sein. Enthusiasten für gutes Design und positives UX. Mit diesem Gedanken möchte ich mit einem Zitat von Alan Cooper enden: “Wenn wir wollen, dass die Benutzer*innen unsere Software mögen, sollten wir sie so gestalten, dass sie sich wie eine sympathische Person verhält: respektvoll, großzügig und hilfsbereit”.

 

Über den Autor und das Unternehmen

Vitek Goyel / Gründer und Managing Director von Kompetek Interaktiv GmbH

Kompetek Interaktiv bietet innovative, interaktive Schulungslösungen, die virtuelle und erweiterte Realitätstechnologien in Verbindung mit modernster Informationsvermittlung für Umgebungen nutzen, in denen Sicherheit oder effiziente Kosten für die Bereitstellung entscheidend sind.

Da wir über ein internes Netzwerk in Bereichen wie 3D-Modellierung / Entwicklung, Unity / Unreal Programmierung verfügen, sind wir in der Lage, jedes Projekt von der Ideenfindung bis zur Umsetzung durchzuführen - ohne den Workflow zu unterbrechen. Wir bringen die geballte Erfahrung von über 20 Jahren in der interaktiven Entwicklung für unsere Kunden ein.

Unser Gründer Vitek Goyel hat große industrielle VR-Projekte in Indien für Unternehmen wie Mahindra, Ford Indien, Citroen, CEAT Reifen und viele andere geleitet. Er bringt seine jahrelange Erfahrung in der Entwicklung in diesem Bereich nun auf den deutschen Markt, erstellt vor Ort, für hiesige Kunden.

Text: Vitek Goyel / Kompetek Interaktiv GmbH
Übersetzung: Eva Pech / Kompetek Interaktiv GmbH


22.02.22

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