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Mithilfe welcher Konzepte denken wir über Vergangenheit und Zukunft, um Entscheidungen in der Gegenwart zu treffen? Ein soziologischer Erklärungsversuch mit Jens Beckerts Imaginationen und deren Einfluss auf Innovationen.

Historienmalerei beschreibt eine Strömung der Malerei, die in der Renaissance ein bestimmtes Moment der Geschichte aufgreift und in einem der Zeit aktuellen Kontext darstellt. Ziel ist darin weniger die korrekte historische Repräsentation als mehr die überhöhende Darstellung eines geschichtlichen Ereignis mit anderem Ziel. Dabei soll eine bestimmte Erzählung vermittelt werden: Beispielsweise sollten derlei Bilder im Frankreich des 18. Jahrhunderts bestimmte politischen Zielen und Vorstellungen zu dienen (Fleckner & Gaehtgens, 1996, S. 32 f). Eine absichtlich verklärende Darstellung eines vergangenen Ereignisses dient der Legitimierung einer gegenwärtigen Situation.

Doch wie verhält es sich im Gegenzug mit Erzählungen über die Zukunft? Jens Beckert liefert uns in seinem Buch "Imaginationen" eine mögliche Antwort: Imaginationen sind darin als ein Sammelbegriff für Projektionen, Visionen oder Vorhersagen über eine andere Welt zu verstehen (Beckert, 2018, S. 274). Innovation kann nach erst stattfinden, wenn ein Raum des Möglichen zuerst durch das Verbreiten einer fiktiven Erzählung über eine mögliche Zukunft eröffnet wurde. Imaginationen schaffen als notwendige "kleine Erzählungen über die Zukunft" einen Raum für politische, wirtschaftliche oder private Entscheidungen (Beckert, 2018, S. 277). Für Technologien finden sich dazu sowohl positive (bspw. über Kostenreduzierungen) wie auch negative Imaginationen (bspw. Warnungen vor schädlichen Auswirkungen einer Technologie). Diese können und sollen konkrete Entscheidungen über Investitionen in neue Innovationen motivieren, indem sich Individuen und Organisationen diese zu eigen machen oder ablehnen. Analog zur Historienmalerei können wir Imaginationen als Abbildungen einer möglichen Zukunft sehen, die der (De-)Legitimierung von Maßnahmen und Entscheidungen in der Gegenwart dienen.

Was lässt sich aus diesen Überlegungen für den oder die Einzelne ableiten? Positive wie negative Erzählungen über Technologien und Innovationen sind in diesem Sinne mehr als eine Erzählung über eine mögliche Zukunft und weniger als konkrete Voraussage zu verstehen. Das ist besonders dann relevant, wenn neue Konflikte zwischen Imagination und Realität in der Verbreitung eines neuen Produkts zutage treten. Unternehmen als Enduser befinden sich dabei häufig in diesem Konfliktbereich. Es kann sich damit aus unternehmerischer Sicht als durchaus sinnvoll erweisen, beim Aufkommen eines neuen technologischen Innovationen vorerst kritische Distanz zu wahren, mit Expert*innen und Anwender*innen inner- und außerhalb des Feldes zu sprechen und unterschiedliche Positionen anzuhören. Grundsätzlich sollten wir Imaginationen als das verstehen, was sie sind: Die Versprechung einer möglichen Zukunft. Somit liegt es an uns selbst, diese zu herauszufordern oder stützen.

Literatur

  • Beckert, J. (2018). Imaginierte Zukunft: Fiktionale Erwartungen und die Dynamik des Kapitalismus (Erste Auflage). Suhrkamp.
  • Fleckner, U., & Gaehtgens, T. W. (1996). Historienmalerei. Reimer Verlag. https://doi.org/10.11588/arthistoricum.445

Anm.: Die Inhalte zu diesem Text wurden in einem Seminar an der Universität Hamburg zusammen mit Studierenden erarbeitet.


27.02.24

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