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In diesem Beitrag unserer Interviewreihe betont die Neurowissenschaftlerin die Notwendigkeit KI als Werkzeug zu betrachten und menschliche Kreativität zu bewahren.

Hinweis: Für unsere Gesprächspartnerin Katharina Lingelbach wird im Folgenden die Abkürzung „L” verwendet, während die Moderatorin Anne Elisabeth Krüger mit „K” abgekürzt wird.

Das Warm-Up:

K: Bitte vervollständige diese 3 Sätze ganz spontan. Was ich als Kind mit Computern gemacht habe, war…

L: Als ich ein Kleinkind war, gab es noch keine Computer. Daher ist die Frage schwer zu beantworten.

K: Was man mit Technik besser erreichen kann, ist…

L: Effizienter Routinearbeit erledigen, um Ressourcen für Kreativität zu schaffen.

K: Wichtige Zukunftskompetenzen aus meiner Sicht sind…

L:

  • Neugierde hinsichtlich neuer Innovationen
  • Technisches Verständnis
  • Ein Verständnis für Informationen und Sensorik, die Informationen erheben kann. Das heißt, was alles unter Informationen zählt. Welche Sensoren Informationen sammeln und wo sie sind.

K: Suche dir einen Gegenstand, anhand dessen du KI beschreiben kannst. Was bedeutet KI für dich persönlich?

L:

  • Das ist z.B die Software auf meinem Computer, sei es ein Sprachverarbeitungstool oder eine generative KI wie Chat GPT.
  • Meine Kopfhörer sind in der Lage, bestimmte Geräusche in der Umgebung zu identifizieren, einige zu unterdrücken und andere zu verstärken. Diese neuen Noise-Cancelling-Kopfhörer beschäftigen sich intensiv mit auditiver Signalanalyse.
  • Die Kamera, die meinen Kopf und mein Gesicht erkennt, kann möglicherweise sogar erkennen, ob ich lächle. In einem nächsten Schritt könnte sie den Hintergrund weichzeichnen, da sie erkennt, dass dieser nicht zu mir gehört.
  • Und nicht zu vergessen, meine Smartwatch, die erkennt, wenn mein Puls hochgeht und mir Rückmeldung gibt.

K: Was bedeutet KI für dich?

L: Ich finde, dass der Begriff KI etwas vage ist. Es ist viel zu generisch, ohne dass man eine klare Vorstellung davon hat, was genau damit gemeint ist. Das Thema ist zu groß, um nur einen Begriff oder gar nur zwei Buchstaben zu verwenden. Wir sagen ja auch nicht einfach Medizin" und gehen davon aus, dass jeder versteht, dass wir gerade vom Hals-Nasen-Ohren-Arzt sprechen. Es muss spezifiziert werden, was genau mit KI gemeint ist, es reicht nicht aus, einen Begriff zu nutzen, um die verschiedenen Aspekte von dem zu beschreiben, was man unter künstlicher Intelligenz verstehen könnte. Wenn ich von KI in meinem Alltag spreche, denke ich einerseits an statistischen Tools, beispielsweise in der Mustererkennung oder im maschinellen Lernen. Andererseits denke ich aber auch an fertige Applikationen, die für mich hauptsächlich Software sind. Ich verbinde KI nicht unbedingt mit einem Gegenstand oder einer Hardware, sondern eher mit der Software, die in diese Gegenstände eingespeist wurde, um komplexe Informationen zu verarbeiten, zu strukturieren, und diese dann zu nutzen, um eine Dienstleistung oder Hilfe anzubieten.

K: In welchem Zusammenhang beschäftigst du dich mit KI?

L: KI kann in verschiedenen Bereichen implementiert werden, und ich konzentriere mich beruflich stark darauf, den Menschen zu verstehen, wenn er mit Technik interagiert oder seine Welt erlebt. Dabei unterstützt mich ein Tool der Statistik, speziell für die Mustererkennung in biologischen und neurophysiologischen Daten. Neurophysiologische Daten beziehen sich auf Informationen, die vom Gehirn stammen.

Ich interessiere mich dafür, was diese Daten aussagen und wie ich sie interpretieren kann, um Rückschlüsse darauf zu ziehen, was der Mensch gerade erlebt. Dies kann Zustände wie Konzentration, Aufmerksamkeit, Müdigkeit, Freude oder Erregung umfassen. Die gesammelten Daten sind sehr umfangreich und abstrakt, und ich verwende Tools zur Mustererkennung, um sie zu interpretieren.

Ich verwende KI, um aus neurophysiologischen und physiologischen Daten Zustände zu interpretieren. Diese erkannten Zustände können dann in den Computer eingespeist werden, und dieser kann lernen, auf die erkannten Zustände zu reagieren. Es entsteht ein geschlossener Kreis, in dem die Daten vom Nutzenden gesammelt, interpretiert, dem Computer gegeben und wieder angepasst werden.

Ein Beispielprojekt ist eine Studie zur Fahrerzustandserkennung im Fahrsimulator, in der ich die Gehirnaktivität analysierte, um zu erkennen, ob die fahrende Person überfordert oder abgelenkt ist. Diese Erkenntnisse können im nächsten Schritt genutzt werden, um das Fahrzeuginterieur entsprechend anzupassen, zum Beispiel durch das Ausschalten von Ablenkungen, Anpassen von Licht oder einer zusätzlichen Präsentation von Hilfshinweisen.

Die Anwendung von KI in Form von Maschinellem Lernen hat mir geholfen, komplexe Informationen zu strukturieren und relevante Informationen aus einem Informationsmeer herauszufiltern. Es ermöglicht auch die Kombination verschiedener Informationsquellen, um die Informationen effektiver zu strukturieren.

K: Was braucht es damit die Menschen von heute und morgen ein positives emotionales Erleben im Zusammenhang mit KI haben?

L: Ich glaube, Selbstwertgefühl ist entscheidend. Wir brauchen das Gefühl, dass wir immer noch wichtig sind, auch wenn die Technik immer besser wird. Wenn wir Methoden der künstlichen Intelligenz verwenden, ist das entscheidend zu erkennen, dass uns die künstliche Intelligenz nicht ersetzt, sondern als Werkzeug dient. Hierbei geht es vor allem um kreative Aktivitäten wie das Schreiben von Büchern, Texten, Romanen, das Komponieren von Musik usw. Der Unterschied zwischen einem Text, der von KI geschrieben wurde, und einem von Menschen geschriebenen Text liegt in der eigenen Handschrift und Persönlichkeit. Wir sollten mutig und stolz darauf sein, dass wir in vielen Aspekten immer noch besser sind, insbesondere in den Bereichen, die so herausfordernd sind, wie beispielsweise Kreativität oder das Finden neuer Lösungen.

KI-Anwendungen werden entwickelt, die bereits jetzt Texte und Bilder produzieren, aber ich denke nicht, dass sie den kreativen Ausdruck des Menschen vollständig ersetzen kann. Es ist wichtig, dass wir unsere Fähigkeiten pflegen und nicht faul werden. Wenn wir aufhören, bestimmte Fähigkeiten zu pflegen, könnte es sein, dass die Technologie besser wird, aber das muss nicht zwangsläufig so sein.

Auch wenn KI in bestimmten Aspekten – hauptsächlich im Bereich der Informationsverarbeitung – besser ist als der Mensch, sollte sie immer ein Werkzeug bleiben, mit dem der Mensch im Mittelpunkt steht. Das ist das Mantra.

K: Was willst du den KMU zum Thema KI und Faktor Mensch mitgeben?

L:

  • Da ist es wichtig, offen zu sein und bereits vorhandene Ressourcen zu nutzen, sei es für ein leichtes Herantasten oder aktivere Schritte, wie beispielsweise die Implementierung von Anwendungen im Unternehmen. Es macht Sinn zu überlegen, ob und wie KI im eigenen Unternehmen genutzt werden kann, um bestimmte Prozesse effizienter zu gestalten.
  • Es ist entscheidend, Kompetenzen in diesen Bereichen aufzubauen, sei es durch die Umschulung von bestehenden Mitarbeitern oder bei der Neueinstellung von Personal.
  • Es ist wichtig zu beachten, dass ein einzelnes Unternehmen nicht alle relevanten Aspekte allein lösen kann, insbesondere wenn es um Regularien geht. Regularien beziehen sich hauptsächlich auf den Umgang mit Daten – wo sie gespeichert werden, wie sie verarbeitet werden und wer darauf Zugriff hat. Unternehmen haben oft sensible Daten, und es ist wichtig, Klarheit darüber zu haben, wie diese Daten genutzt werden. Die Nutzung von Daten aus Servern in den USA oder China kann problematisch sein, da die dortigen Regeln möglicherweise nicht mit deutschen Standards kompatibel sind.
  • Gemeinsame Plattformen oder Initiativen können dazu beitragen, Lösungen für den sicheren Umgang mit Daten zu finden. Familienunternehmen, insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen, benötigen Unterstützung und Ressourcen, um den Schritt in Richtung KI zu machen. Es ist wichtig, dass sie sich nicht allein fühlen und eine gemeinschaftliche Herangehensweise ermöglicht wird.

K: Wie wird sich KI in der Zukunft verändern? Übernimmt KI die Weltherrschaft?

L: Es fällt mir schwer, mit der Frage umzugehen, denn es gibt sicherlich schlimme Beispiele, bei denen KI verwendet wurde, um Menschen zu manipulieren. Dies wurde in Dokumentationen gezeigt, beispielsweise um Wahlkämpfe zu beeinflussen. Es handelt sich dabei nicht um einen offenen und transparenten Prozess, sondern eher um das heimliche Lenken bestimmter Teile der Bevölkerung in eine bestimmte Richtung. Hauptsächlich geschieht dies über soziale Medien, geschaltete Werbung und die Identifikation, welche Menschen dafür empfänglich sind. Das bedeutet, dass KI in der Lage ist, gezielt Informationen in eine bestimmte Richtung zu streuen und dadurch eine Dynamik in Menschen auszulösen. Das ist meiner Meinung nach die Gefahr.

Ich glaube jedoch, dass Menschen immer noch die Hauptakteure in Bezug auf politische Strukturen oder Organisationen sein werden. Intelligente Algorithmen können jedoch genutzt werden, um Menschen dazu zu bringen, bestimmte Dinge zu tun. Das ist meiner Meinung nach schon gruselig genug.

K: Hast du ein Lieblings KI-Tool?

L: Chat GPT bietet eine starke Leistung. Natürlich sollte immer noch ein menschliches Auge darüber schauen, aber es unterstützt schnell in vielen Anwendungen. Selbst bei der Strukturierung von Dokumenten oder grundlegenden alltäglichen Anwendungen kann es nützlich sein. Das ist nicht spezifisch für Unternehmen. Für Unternehmen hängt es vom konkreten Anwendungsfall ab. Wenn mich jemand fragen würde, was sie lernen sollten, würde ich sagen: Python, die Programmiersprache, ist das Nonplusultra und sehr stark im Bereich maschinelles Lernen ausgebaut.

K: Was sagst du zu KI und Nachhaltigkeit?

Was KI und Nachhaltigkeit betrifft, sehe ich vielfältige Anwendungsmöglichkeiten. Energieeinsparungen durch KI, wie im Bereich Smart Home, könnten dazu beitragen, unnötigen Energieverbrauch zu vermeiden. Effiziente Infrastrukturplanung, etwa bei Zügen, kann zu frühzeitiger Wartung und Reparatur führen, was Ressourcen spart. Auch in der Produktion sehe ich Potenzial für mehr Nachhaltigkeit, indem Überproduktion vermieden wird. Es ist wichtig, dass die Menschen verstehen, wie KI positiv zu nachhaltigen Praktiken beitragen kann, beispielsweise durch effizientere Prozesse und Ressourcennutzung.

K: Was sollten die Leute da draußen noch wissen?

L: KI ist ein nützliches Tool, das von Menschen genutzt werden sollte. Es ist wichtig zu betonen, dass wir KI verwenden und nicht KI uns verwendet.

 


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Über Katharina Lingelbach

Katharina Lingelbach ist Neurowissenschaftlerin und Doktorandin im Team „Applied Neurocognitive Systems” des Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO. Besonders interessiert sie sich für die Interaktion von emotionalen und kognitiven Prozessen sowie das Monitoring von solchen Nutzerzuständen bei der Interaktion mit Technik mittels multimodaler Sensorik und ML.

 


08.04.24

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