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Das erste Interview in der Reihe „die weibliche Seite der Digitalisierung“ führten wir mit Nora Fronemann, Leiterin des User Experience Teams am Fraunhofer IAO. Wir lernten, dass man als Frau in dieser Branche nicht nur Nachteile erfährt, dass interdisziplinäres Arbeiten gelernt sein will und dass Qualifizierungsmaßnahmen nicht an den Studiengang gebunden sein sollten. Es hat uns beeindruckt, wie ganzheitlich Nora Fronemann ihre Mitarbeiterinnen und die jeweiligen Arbeitsbedingungen betrachtet und welche Ideen sie für Führungsmodelle mitbringt.

Ich führe das Interview mit Nora Fronemann, die ich schon seit 7 Jahren kenne. Sie ist ebenfalls Mitglied des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Usability und führt das User Experience Teams am Fraunhofer IAO in Stuttgart. In diesem Gespräch haben wir nun Mal Zeit, ein Thema anzusprechen, das uns beide bewegt, in unserem Arbeitsalltag aber nicht explizit zur Sprache kommt.

Magdalena Laib (ML): Mit wie vielen Frauen hast Du heute schon zusammengearbeitet?

Nora Fronemann (NF): Ich habe heute schon mit einem ganzen Team gearbeitet, das zur Hälfte aus Frauen bestehet, also mit etwas fünf oder sechs.

ML: Von diesen Frauen bist du also die Vorgesetzte. Gab es auch Frauen, die auf gleicher Ebene oder eine Ebene höher waren?

NF: Nee, heute noch nicht.

ML: Du hast schon gesagt, Du hast Frauen und Männer im Team, welche Unterschiede nimmst Du zwischen ihnen wahr?

NF: Es kommt natürlich immer individuell auf den Menschen an und die Unterschiede sind nicht so groß. Aber Frauen haben oft einen großen Vorausblick und meist schon das ganze Projekt durchorganisiert und durchstrukturiert. Ich glaube, das fällt den Männern manchmal etwas schwerer. Manche Männer, aber auch das ist Typ-Frage, gehen mit dem, was sie erarbeitet haben, gern hausieren. Frauen müssen zum Selbstmarketing eher angespornt werden.

ML: Frauen müssen also lernen, sich besser zu verkaufen. Und was machst Du selbst anders als Deine männlichen Kolleginnen?

NF (lacht): wahrscheinlich ist Selbstmarketing genau das Ding. Die Dinge, die wir gut machen, versuche ich schon nach außen hin oder im Institut zu platzieren aber viele meiner männlichen Kollegen gehen ohne schlechtes Gewissen schon mit halbgareren Sachen hausieren. Ansonsten versuche ich, wie alle anderen auch, meine Mitarbeiterinnen ganzheitlich wahrzunehmen, mit all dem, was auch privat dazugehört und dafür Raum zu geben.

ML: Würdest Du gerne lernen, Dich besser zu vermarkten?
NF: Es wäre bestimmt gut. Von Chefinnen und Kolleginnen hierzu ermutigt zu werden, wäre hilfreich oder auch entsprechende Mentorenprogramme.

ML: Würdest Du denn sagen, Du hast einen Nachteil oder einen Vorteil in Deiner Position als Frau?

NF: Kann man so und so sehen. Im Moment habe ich häufig den Eindruck, ich bin so die Quotenfrau. Frauen in meiner Position haben häufig den Nachteil, dass wir im Alter und in der Berufserfahrung unterschätzt werden. In uns wird eher die Studentin als die Führungskraft gesehen. Ich habe oft den Eindruck, dass männliche Kollegen, ähnlich alt, ähnlicher Erfahrungsschatz, nicht hinterfragt werden. Ich glaube, die Kompetenz von Frauen wird eher in Frage gestellt.

ML: Gibt es auch einen Vorteil als Frau?

NF: Du fällst als meist einzige Frau in der Runde eher auf. Im Zweifelsfall wirst du aber halt auch übergangen, weil die Männer dann ihr Ding machen und dich vielleicht auch nicht so involvieren.

ML: Du hast ja gerade schon gesagt, es gibt nicht so viele Frauen in unserem Fachgebiet, die in der ersten Reihe stehen. Warum denkst du, ist das so?

NF: Ich glaube, Frauen trauen sich häufig nicht, eine Führungsposition für sich zu beanspruchen. Außerdem muss man wissen, was man bereit ist, dafür aufzugeben. Durch das mehr an Management-Aufgaben geht Zeit für fachliche Arbeit oder auch die eigene Promotion verloren. Frauen sind hier vielleicht eher zielgerichtet. Sie stellen sich mit Blick auf Familienplanung vielleicht auch die Frage, ob sie eine solche Position auch in Teilzeit ausfüllen können. Ich finde, hier fehlen Konzepte, die zum Beispiel eine Doppelspitze vorsehen. Kann ja auch ein Mann und eine Frau sein, was ich auch gut fände um so auch die unterschiedlichen Perspektiven rein zu kriegen. Da gibt es noch zu wenige Modelle.

ML: Da sind wir schon bei der Frage der Bedingungen: Wie müssten diese sein, damit Frauen ihre Qualifikationen optimal entfalten können?

NF: Zwei Dinge fallen mir ein: Bei Fraunhofer gibt es Qualifizierungsprogramme, die sich aber meist nur an MINT-Fächer richten. Unser Fachgebiet setzt sich aber aus den unterschiedlichsten Qualifikationen zusammen, eben nicht nur aus MINT-Fächern. Hier wäre es wichtig, Qualifizierungsprogramme offener zu gestalten. Außerdem müssten die Leute bereit dafür gemacht werden, was nach der Beförderung danach eigentlich an Aufgabenvielfalt auf sie wartet, also was die einzelnen Bestandteile des Jobs als Führungskraft sind, wie ich persönliche Entwicklungsziele der Mitarbeiterinnen mit den Entwicklungszielen der Abteilung in Einklang bringe, wie Projekte koordiniert werden etc.

ML: Ich finde es interessant, dass du die Interdisziplinarität in unserem Bereich ansprichst, die ja häufig weg von den klassischen MINT-Fächern geht und dass man Qualifizierungen unabhängig vom Studienfach halten müsste.

NF: Ja und ich denke, Frauen sind in dieser fächerübergreifenden Kommunikation sehr gut. Trotzdem muss man interdisziplinäres Zusammenarbeiten lernen und auch, wie man ein Team beieinander hält, gerade wenn die Leute so ganz anders sind.

ML: Was würdest Du Dir denn in Bezug auf dieses Thema für die Zukunft wünschen?

NF: Ich glaube, tatsächlich mehr Qualifizierungsangebote und mehr Möglichkeiten für Führung in Teilzeit: Das bezieht sich nicht nur auf Menschen mit Betreuungsaufwand. Andere möchten vielleicht mehr fachlich arbeiten oder die Promotion fertig stellen. Ich könnte mir gut vorstellen, als Tandem zu arbeiten, so dass man sich gemeinsam absprechen und entlasten kann.

 

Hier geht es zum ersten Artikel der Serie: Die weibliche Seite der Digitalisierung - Warum wir uns damit beschäftigen möchten

Hier geht es zum zweiten Artikel der Serie: Frauen in der UUX-Branche: Wie viele sind wir eigentlich?


27.07.20

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