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Clayton Christensen beschäftigte sich in seinem Buch “Innovators Dilemma” mit der Frage, warum Unternehmen den Zugang zu ihrem kreativen und innovativen Potenzial verlieren. Da Christensen in diesem Buch allerdings nicht die Frage beantwortete, was innovative Unternehmen besser machen als ihre Konkurrenz, entwickelte er die „Jobs-to-be-done“ (JTBD)-Methode, die er mit seinem darauffolgenden Buch “Besser als der Zufall” ausführlich vorstellt.

Wie funktioniert Jobs-to-be-done?

Der Methode liegen 6 Prinzipien zu Grunde:

Um einen „Job“ erfolgreich zu erledigen, müssen all diese Dimensionen erfasst und ganzheitlich berücksichtigt werden.

Ein Beispiel

Der Nutzen der Methode wird oftmals mit dem „Milchshake-Experiment“ demonstriert. Eine Fastfood-Kette beabsichtigte, den Verkauf von Milchshakes zu steigern. Man hatte sich bereits über einen längeren Zeitraum mit dem Problem beschäftigt, Nutzer nach ihren Präferenzen befragt und auch das Feedback umgesetzt. Allerdings erhöhten sich die Verkaufszahlen dadurch nicht. Daraufhin wurde das Team um Clayton Christensen beauftragt und stellte sich die Frage, welcher „Job“ den Kauf eines Milchshakes auslöst. In den Filialen der Fastfood-Kette notierten sie Informationen zu den Milchshake-Einkäufen, beispielsweise die Uhrzeit und ob die Kunden alleine unterwegs waren. Dadurch zeigte sich, dass die Hälfte der Milchshakes vor 8 Uhr morgens zum Mitnehmen erworben wurden, die Menschen alleine waren und sonst nichts kauften. Am nächsten Morgen platzierten sich die Forscher vor dem Geschäft und befragten die Menschen, warum sie den Milchshake gekauft hatten. Es stellte sich heraus, dass sie einen langen Weg zur Arbeit hatten und eine praktische Beschäftigung während der Autofahrt brauchten. Sie waren zwar noch nicht hungrig, wollten aber einem zur Mittagszeit aufkommendes Hungergefühl vorbeugen. Diese Aufgabe konnte ein Milchshake aus ihrer Sicht besser erfüllen, als eine Banane, ein Bagel oder ein Donut. Nachdem der „Job“ verstanden wurde, fiel es dem Unternehmen sehr leicht, Möglichkeiten zu finden, um den Umsatz zu steigern.

Einordnung in den nutzerzentrierten Gestaltungsprozess

Die europäische Norm ISO 9241-210 legt Anforderungen fest und gibt Empfehlungen für menschzentrierte Gestaltungsgrundsätze und -aktivitäten für den gesamten Lebenszyklus rechnergestützter interaktiver Systeme.

Sie definiert für den Prozess vier miteinander verbundener, menschenzentrierter Gestaltungsschritte:

  • Verstehen und Beschreiben des Nutzungskontexts
  • Spezifizieren der Nutzungsanforderungen
  • Entwerfen der Gestaltungslösungen
  • Testen und Bewerten der Gestaltung

Auf den ersten Blick scheint JTBD eine einfache und praktische Methode für innovative und benutzerzentrierte Gestaltung zu sein. Seit vielen Jahren häufen sich daher auch die Coaching- und Beratungsangebote für den Einsatz von JTBD. Bei genauerer Betrachtung stellt sich allerdings die Frage, was der theoretische und praktische Unterschied zum nutzerzentrierten Design ist.

Hauptaugenmerk beim JTBD-Ansatz ist es, bestehende Produktlösungen optimal am Markt zu platzieren und dadurch wirtschaftlichen Gewinn zu maximieren. Kunden- bzw. Nutzerzentrierung ist ein Bestandteil der Strategie, allerdings geschieht gerade dies zumeist in der oberflächlichen Weise, wie es der JTBD-Ansatz am nutzentrierten Design kritisiert. Das Milchshake-Experiment irritiert bereits zu Beginn mit der Aussage, dass aufgrund von erfragten Nutzerpräferenzen schlechte Gestaltungsentscheidungen getroffen werden. Strategisch geplante nutzerzentrierte Gestaltung umfasst selbstverständlich mehr als das reine Abfragen von Präferenzen, sondern beginnt mit dem Verstehen des Nutzungskontexts: Welche Nutzer erledigen welche Aufgaben bzw. Ziele in welchen Situationen und mit welchen Hilfsmitteln? Außerdem spielen nicht nur pragmatische Aspekte wie Zielerreichung eine Rolle, sondern auch individuelle Gründe, Motive, Bedürfnisse, Gefühle und Gewohnheiten, die in ihrer Gesamtheit verstanden werden müssen. Gedankliche Trigger sind an dieser Stelle nicht „Jobs“, sondern „Needs“ (oder Erfordernisse) der Nutzer.

Die Kundensegmentierung erfolgt anschließend nicht auf der Basis „oberflächlicher“, leicht ermittelbarer bzw. direkt zugänglicher Variablen, wie Alter, Geschlecht, Expertise mit einem System oder wann Kunden einen Milchshake kaufen, sondern auf der Basis der ermittelten Needs als sogenannte Persona. Es geht also nicht um „Zielgruppen“ eines Produkts oder Services, sondern um „Nutzergruppen“, die sich hinsichtlich ihrer Bedürfnisse, Werte und Gewohnheiten unterscheiden. Um zu neuen oder optimierten Gestaltungslösungen zu kommen, müssen Personas selbstredend aktivitätszentriert durchdacht werden – oder wie Donald Norman bereits 2002 zusammenfasste: „[…] our personas are 80 % scenario descriptions, which we then break down into user needs, tasks and system features“.

Kritik

Nach Meinung der Autoren ist JTBD kein wirklich neuwertiger Ansatz, sondern verkauft bisher Dagewesenes unter einem neuen Namen. Das ist nicht grundsätzlich schlecht, da eine aktivitätszentrierte Denkweise unter Berücksichtigung individueller Bedürfnisse eine weiterhin sinnvolle und praktikable Vorgehensweise darstellt. Problematisch wird es allerdings, wenn durch diesen Ansatz der Eindruck entsteht, man könne nutzerzentrierte Gestaltungsaktivitäten abkürzen oder es würde in der Gestaltung und Entwicklung neuer Technik genügen, Nutzer nicht als Menschen, sondern ausschließlich als Kunden zu begreifen. Diese Sichtweise dürfte auf kurz oder lang nicht zum gewünschten innovativen Erfolg führen. Weiterbildungs- oder Beratungsangebote mit dem Titel Jobs-to-be-done sollten heutzutrage daher einmal mehr mit einem kritischen Blick geprüft werden.


05.12.18

Kontakt

Johanna Gramlich
  • Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Usability
Philipp Günther
  • Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Usability
Dr. Michael Minge
  • Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Usability

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